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Arbeitskräftemangel: Wie lässt er sich durch die Intensivierung der Beziehungen zwischen Bildungseinrichtungen und Arbeitgeber:innen verringern?

Der Mangel an Arbeitskräften stellt die nächste große Herausforderung für die Wirtschaft dar. Dieses Problem wurde bereits vor mehr als einem Jahrzehnt thematisiert. Der aktuelle Arbeitskräftemangel kommt also nicht überraschend. Allein die Tatsache, dass es so schnell ging, mag einige überrascht haben.

Jeder bzw. jede Einzelne ist die neue Quelle für Wettbewerbsvorteile und hat einen großen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens. Wollen Unternehmen langfristig überleben, brauchen sie Nachwuchskräfte, die in der Lage sind, ein Unternehmen bei der Anpassung an den Wandel zu unterstützen oder es sogar zu leiten. Investitionen in alles, was mit Lernen und Weiterbildung zu tun hat, werden in den kommenden Jahren von entscheidender Bedeutung sein. Für die Unternehmen wird das ein Mittel darstellen, um Arbeitnehmer:innen halten und gewinnen zu können. Diejenigen Unternehmen, denen das am besten gelingt, werden letztendlich zu den Gewinnern gehören.

Über 50 Gewerkschaftsführer:innen aus 18 verschiedenen EU- und Beitrittsländern nahmen an einem zweitägigen Seminar in Zagreb, Kroatien, teil. Der Titel des Seminars lautete „Arbeitskräftemangel: Wie lässt er sich durch die Intensivierung der Beziehungen zwischen Bildungseinrichtungen und Arbeitgeber:innen verringern?“. Die Initiative wurde von WOW-Europe und der Republikanischen Arbeitergewerkschaft (RSR) in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Zentrum für Arbeitnehmerfragen (EZA) organisiert und von der Europäischen Union finanziert. Sie war Teil des EZA-Sonderprojekts für Arbeitnehmerorganisationen in den Beitrittsländern.

Gordana Juran-Ratković, Professorin für kroatische Sprache und Rektorin der Sekundarschule Ivan Seljanec Križevci, sowie Tamara Vrhovec, Pädagogin und Beraterin am selben Institut (Kroatien), betonten die Tatsache, dass viele Schüler:innen während ihrer Berufsausbildung unzureichend auf das Arbeitsleben vorbereitet werden. Die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und die benötigten Qualifikationen ändern sich schnell. Das Bildungssystem hat Schwierigkeiten, damit Schritt zu halten. Außerdem sind viele Arbeitgeber:innen nicht in der Lage, Schüler:innen und junge Arbeitnehmer:innen zu unterstützen. Der Übergang vom jungen Menschen zum Arbeitnehmer bzw. zur Arbeitnehmerin passiert zu plötzlich. Heutzutage sind die Schüler:innen zu unreif. Daran sind das Bildungssystem und die Eltern schuld, die den Schüler:innen zu viel abnehmen. Dabei wissen wir doch alle, dass man durch Ausprobieren lernt.

Das bestätigte auch Mara Erdelj, Präsidentin von RS BOFOS (Serbien), in ihrem Vortrag mit dem Titel: „Intelligente Bildung für eine intelligente Zukunft: Beseitigung des Arbeitskräftemangels im digitalen Zeitalter“. Sie erklärte, dass „die zunehmenden technologischen Veränderungen zu einer Digitalisierung der Wirtschaft führen, was wiederum Veränderungen in der Arbeitswelt und in den Beziehungen zwischen den Sozialpartnern mit sich bringt“. Diese Veränderungen gehen immer schneller vonstatten. Sie machen einige Arbeitsplätze obsolet, schaffen aber auch neue. Uns ist bewusst, dass das Wissen, das wir als Kinder oder Jugendliche erwerben, nicht ewig währt, dass aktives Lernen eine sehr wichtige Form des lebenslangen Lernens ist und dass Motivation und eine Vielfalt der Bildungsangebote Grundvoraussetzungen für ein erfolgreiches lebenslanges Lernen sind“. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass sich das Bildungssystem schneller anpassen muss.

Johann Aigner, stellvertretender Leiter von WORK in AUSTRIA (Österreich), erklärte, dass Österreich, wie viele andere westeuropäische Länder auch, von der EU-Mobilität profitiert hat und immer noch profitiert. Das hinterlässt natürlich auch Lücken in den Herkunftsländern. Zu den aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen gehören die hohen Rohstoff- und Energiepreise sowie die Lieferketten. Er hat dabei drei Katalysatoren für den Transformationsprozess ausgemacht: rascher technologischer Wandel und Digitalisierung, Klimawandel und Dekarbonisierung sowie demografische Entwicklung und Fachkräftemangel. Insbesondere der Fachkräftemangel ist eine große Herausforderung. Durch das Rot-Weiß-Rot-Zuwanderungssystem versucht Österreich, diesem Mangel entgegenzuwirken. Dabei geht es vor allem um gehobene Positionen. Und es ist auf langfristige Aufenthalte ausgerichtet.

Die Verbindung von Bildung und Arbeitsmarkt stellt in den Ländern des Westbalkans eine große Herausforderung dar. Oft herrscht dort ein Missverhältnis. Goce Trajkovski erklärte, dass es zwei Arten von Missverhältnissen gibt. Das horizontale Missverhältnis, bei dem die Art oder der Bereich der Ausbildung oder der Fähigkeiten für eine bestimmte Stelle ungeeignet ist. Und das vertikale Missverhältnis, bei dem das Bildungs- oder Qualifikationsniveau geringer oder höher ist als erforderlich. Das zu verbessern, wird sich als wesentlich für den Übergang von der Schule ins Berufsleben und für die Beschäftigungsquote junger Menschen erweisen. Aber auch „Arbeitserfahrungen, die nichts mit ihrem Studium zu tun haben, können sich positiv auf die Arbeitsmarktergebnisse junger Erwachsener auswirken“. Es gibt eine Reihe von Empfehlungen zur Verbesserung der Situation. Am wichtigsten ist dabei die Verbesserung der Lehrmethoden. Aber auch die Akkreditierung aller Fakultäten und Studiengänge sowie eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Fakultäten und Arbeitgeber:innen sind von wesentlicher Bedeutung.

Dr. sc. Natko Klanac konzentrierte sich in seinem Beitrag auf den Arbeitsmarkt und die Zukunft der Bildung: Trends, Bedürfnisse, Herausforderungen und Erwartungen. Zu den wichtigsten Herausforderungen des kroatischen Arbeitsmarktes gehören: unzureichend ausgebildete Arbeitskräfte, ein erheblicher Mangel an Qualifikationen und eine hohe Abwanderungsrate junger und qualifizierter Arbeitskräfte. „Besser ausgebildete Arbeitskräfte bedeuten eine höhere Produktivität und können zu mehr Innovationen führen“, so Klanac. Arbeitgeber:innen suchen bei der Einstellung von Personal nach den folgenden Kompetenzen: Kommunikationsfähigkeit, Zeit-management, Teamarbeit und Flexibilität. Diese Arbeitnehmer:innen sind auf dem Arbeitsmarkt jedoch nicht so einfach verfügbar. Auch hier herrscht also ein Missverhältnis. Wir erkennen nicht immer den Bedarf.

„Der Mangel an Nachwuchskräften nimmt weltweit zu“, so Ana Modrić Topalović, Leiterin der Abteilung Personalmanagement bei der kroatischen Telekom. „Globale Daten über einen Mangel bei den benötigten Stellen zeigen, dass wir kreativer und einfallsreicher sein und unseren strategischen Ansatz ändern müssen, um die Zielgruppe zu erreichen“, sagte sie weiter. Es ist wichtig, jungen Menschen dabei zu helfen, Erfahrungen und Fähigkeiten zu erwerben. Sie sollten in der Lage sein, in einer angenehmen Arbeitsatmosphäre mit interessanten Projekten zu arbeiten, sich weiterzubilden und weiterzuentwickeln, eine gute Work-Life-Balance zu haben und Wertschätzung am Arbeitsplatz zu erfahren. Diejenigen, die in den Arbeitsmarkt gelangen, sollten gut angeleitet werden. Das wird für ihre Zukunft von großer Bedeutung sein.

Jannik Jansen, Policy Fellow für sozialen Zusammenhalt & gerechte Übergänge am Jacques Delors Centre der Hertie School, stellte in seinem Vortrag fest, dass der Mangel an Arbeitskräften und Qualifikationen eine große Herausforderung und ein wesentliches Hindernis für die grünen Ambitionen der EU darstellt. Der europäische grüne Deal zielt darauf ab, Europa bis 2050 in „den ersten klimaneutralen Kontinent“ zu verwandeln. Jansen wies dabei auf drei wesentliche Hürden hin: „ein unsicheres Investitionsumfeld, schwerfällige Genehmigungsverfahren und ein beängstigender Mangel an Qualifikationen und Arbeitskräften“. Diese Investitionen werden jedoch nicht getätigt und die Menschen sind nicht verfügbar. „Für 85 % der europäischen Unternehmen stellt der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften bereits ein Investitionshindernis dar (EIB-Umfrage, 2023)“. Um den Mangel an Arbeitskräften und Qualifikationen zu beheben, wird es entscheidend sein, ökologische Arbeitsplätze im Vergleich zu umweltschädigenden Arbeitsplätzen attraktiver zu machen, verschiedene Pools von Nachwuchskräften zu nutzen und den Wechsel von Arbeitnehmer:innen in die Clean-Tech-Sektoren zu erleichtern. Jansen erklärte: „Wenn der grüne Wandel richtig gesteuert wird, könnte er zur Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze führen und die öffentliche Unterstützung für eine ehrgeizige Klimapolitik stärken“. 

Georg Wagner, Leiter des Instituts und des Studienprogramms FH JOANNEUM, University of Applied Science, betonte die Bedeutung einer angemessenen Ausbildung. In Österreich herrscht, wie in vielen anderen Ländern auch, Arbeits-losigkeit und ein Mangel an Arbeitskräften. Das scheint ein wirtschaftliches Paradoxon zu sein. Zu einem großen Teil, aber nicht ausschließlich, sind Qualifikationsdefizite und Erwartungshaltungen dafür verantwortlich. Die Generation X und Z sucht zum Beispiel sehr stark nach einem Sinn. Arbeit ist zwar wichtig, aber nicht um jeden Preis. Sie wünschen sich eine gute Work-Life-Balance. Außerdem werden einige Formen von Arbeit unterbewertet. Das ist eine der Erklärungen dafür, warum MINT-Studiengänge (ein Lern- und Entwicklungsansatz, der die Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik integriert) relativ wenige Bewerber:innen anziehen. Dadurch entsteht eine Kluft zwischen den Erwartungen der Industrie und der Gesellschaft und den Kompetenzen der Absolvent:innen. Die duale Hochschul-ausbildung ist der Schlüssel. Die Verknüpfung der Ausbildung mit Partner-einrichtungen und Unternehmen wird für alle von Vorteil sein. 

Die zweitägige Konferenz machte deutlich, dass der Arbeitskräftemangel auf vielen Ebenen eine Herausforderung darstellt. Es werden zwar viele Initiativen ergriffen, um diesen Mangel zu verringern, aber es fehlen immer noch die Menschen. Die Suche nach kreativen Lösungen und eine andere Herangehensweise an die Bildung werden Teil der Antwort sein müssen. Eine Neugestaltung ist erforderlich, um mit einer europäischen Bevölkerung umgehen zu können, die in einigen Jahren zu schrumpfen beginnen wird.