EZA MAGAZINE
EZA PODCAST

Energiepolitik: Das Trilemma Klimaziele, Markteffizienz und Sozialverträglichkeit

Wir sind weltweit mit extremen Hitzeereignissen, anhaltenden Dürren, Sturmschäden, Erdrutschen, Überflutungen und einer rapiden Gletscherschmelze konfrontiert. Die Schäden für Gesundheit, Ökosystem, Wirtschaft und Infrastrukturen sind gigantisch. Der Umstieg auf erneuerbare Energiequellen ist notwendig, um die absehbare dramatische Entwicklung der Klimaerwärmung zu vermeiden. Rund drei Viertel der EU-weiten Treibhausgasemissionen entfallen auf die Energie für Industrie, Verkehr, Haushalte. Kipppunkte sind laut Prognosen Messwerte und Ereignisse, die auf irreversible Schädigungen des Ökosystems schließen lassen. Wir haben noch die Chance, solche Entwicklungen abzuwenden. Aber die Zeit drängt. Die Energiewende mit dem Ziel der Klimaneutralität innerhalb 2050 mit Etappenzielen für 2030 und 2040 ist deshalb ein zentraler Baustein des EU Green Deal. Mit den verschiedenen Facetten der Umsetzung dieses Prozesses befassten sich namhafte Fachleute auf der Tagung zum Thema „Energiepolitik: Das Trilemma Klimaziele, Markteffizienz und Sozialverträglichkeit“ von AFB und Europäischem Zentrum für Arbeitnehmerfragen EZA am 16. und 17. Mai in Brixen.

An der Tagung nahmen über 70 Vertreter:innen von Arbeitnehmerorganisationen aus Südtirol/Italien, Deutschland, Österreich, Luxemburg, Tschechien und Serbien teil. Das Symposium wurde durch die Europäische Union finanziert.

Langatmige politisch Prozesse aufgrund der notwendigen Abstimmung unterschiedlicher Planungs- und Förderungsansätze auf europäischer und nationaler Ebene gefährden die Umsetzung der aus wissenschaftlicher Sicht vielfach untermauerten Erkenntnis, dass die Bewirtschaftung unseres Planeten auf neue Grundlagen umgelenkt werden muss. Konzerne und Finanzplätze, die mit Öl, Gas und Kohle über Jahrzehnte satte Rendite erzielt haben, sträuben sich gegen den vom Klimawandel diktierten Transformationsprozess. Der Widerstand konzentriert sich auf den von der EU definierten Zeitplan, während zugleich die durch den Ukraine-Konflikt und damit zusammenhängende Lieferengpässe hervorgerufene Energiekrise für marktwirtschaftlich ungerechtfertigte Preisaufschläge genutzt wird. 

Die Zielvorgabe der EU ist so klar wie unausweichlich: Mit dem Programm „Fit for 55“ hat die EU klimapolitische Ziele für den Zeithorizont 2040 für Industrie, Gebäude und Mobilität festgelegt. Es gilt, die Dekarbonisierung der Energieträger zu beschleunigen und auf die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energiequellen wie Sonne, Erdwärme und Windkraft sowie in eingeschränkter Form im Industriesektor auf Wasserstofftechnologien zu setzen. Hierfür fallen hohe Investitionskosten an. Energiekonzerne müssen neu ausgerichtet werden. Die Förderungsinstrumente sind in den einzelnen Ländern anzupassen und auszubauen. Die Regierungsparteien in europäischen Kernländern haben im EU-Wahlkampf für einen veritablen Backlash in der Energiewende gesorgt, indem sie sich von den Planungsvorgaben der EU distanzierten. Der Befürchtung, dass der EU Green Deal zur Disposition gestellt wird, wenn konservative und populistische Parteien im EU-Parlament die Oberhand gewinnen, wird durch massive Förderungsanstrengungen der Wind aus den Segeln genommen. Aus dem Sozialen Klimafonds stellt die EU den einzelnen Staaten konsistente Mittel zur Verfügung, um den gesamten Transformationsprozess zu unterstützen. Klar ist aber auch, dass die EU und die einzelnen Staaten in den nächsten Jahren laufend zusätzliche Finanzmittel bereitstellen müssen, um diesen Prozess erfolgreich zu gestalten. 

Im Superwahljahr 2024 kristallisierten sich bisher weder in der EU noch auf Länderebene politische Führungsfiguren heraus, die imstande sind, die politischen Weichenstellungen und den Aushandlungsprozess mit den Unternehmen zielgerichtet zu steuern und der Neuorientierung eine attraktive Wohlstandsvision zu unterlegen. Taktik bestimmt die öffentliche Debatte. Die Bevölkerung sieht und spürt den Klimawandel und dessen Folgen für Landschaft, Infrastruktur, Produktionssysteme, Gesundheit. Sie findet die Mahnungen der Klimawissenschaftler:innen nachvollziehbar, tut sich aber schwer mit der Orientierung: Sie hat wenig Vertrauen in die Politik, wird durch einen Wirbel von Information und Desinformation vernebelt. Die Sorge um die Arbeitsplätze, die in diesem epochalen Wandel verloren gehen könnten, ist ebenso präsent wie die Angst vor einem Winter ohne Heizung, weil die Preise durch die Decke gehen. 

Die Gewerkschaften nehmen ihre Mittlerrolle in dieser Frage nicht deutlich genug wahr. Dabei wären sie dazu prädestiniert, als Protagonisten in der Übergangsphase ins klimaneutrale Zeitalter aufzutreten und aus dem Blickwinkel der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit ein Programm von Maßnahmen einzufordern, die eine sozial gerechte Entwicklung (Just Transition) gewährleisten. Dank ihrer Erfahrung in der Konzertierung politischer Weichenstellungen können sie mit Unterstützung der Umweltverbände darauf drängen, dass die Regierungen die umweltpolitischen Zielsetzungen mit den Unternehmerverbänden und den großen Wirtschaftsakteuren klug und ausgewogen konkretisieren. Förderungen, Anreize für Innovationen, Unterstützungen für die Abfederung von Risiken, Kompensationen für Schäden sind so auszurichten, dass die Chancen der Neuausrichtung deutlich und ihre wirtschaftlichen Profitperspektiven nachvollziehbar werden. Beispiele für mit den Gewerkschaften ausgehandelte Abkommen für die Übergangsphase großer Energiekonzerne gibt es bereits, die den Umbau traditioneller Kraftwerke vorantreiben und sozial verträglich gestalten. 

Die öffentliche Hand muss in diesem Zusammenhang im Interesse der Allgemeinheit – Dekarbonisierung und Beschäftigungs- und Einkommenssicherung – große Anstrengungen zur Zukunftssicherung unternehmen. Expert:innen bestätigen, dass bei konsequenter Umstellung auf erneuerbare Energiequellen die Energiekosten nicht aus dem Ruder laufen werden. Die Technologien, die verwendet werden, sind schon sehr ausgereift, und an Verbesserungen wird, wie etwas bei den Energiespeichern, intensiv gearbeitet. Eine gezielte Steuerung der Übergangsphase in die energieneutrale Zukunft bewirkt nicht nur die Einbremsung der durch Monopolsituationen bewirkten Preisspirale im Energiesektor, sondern ist auch in der Lage, die Preiskomponenten so auszutarieren, dass für Arbeitnehmerhaushalte und sozial Schwächere der Zugang zu erneuerbaren Energiequellen sichergestellt und deren Nutzung leistbar gestaltet werden kann.